Wie die NZZ vom 27. Juni 2008 berichtete, wurde das geständige und reuige somalische Ehepaar der Anstiftung zur schweren Körperverletzung für schuldig befunden.

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In einem schweizweit erstmaligen Prozess hat das Zürcher Obergericht am Donnerstag ein somalisches Ehepaar wegen Anstiftung zu einer schweren Körperverletzung schuldig gesprochen und bedingte Freiheitsstrafen verhängt. Die Eheleute hatten einen durchreisenden Landsmann beauftragt, ihre Tochter im Zürcher Oberland zu beschneiden.


Selten waren Betroffenheit und Bestürzung im Strafsaal des Zürcher Obergerichts derart spürbar, derart nahe beieinander und bei sämtlichen Anwesenden auszumachen, wie dies beim gestrigen Prozess der Fall war. Der somalische Ehemann und Vater von acht Kindern schluchzte beim Schlusswort und stammelte zum wiederholten Male Worte der Entschuldigung. Seine Ehefrau, die als Mädchen in ihrem Herkunftsland mit der gravierendsten Beschneidungsform traktiert worden war, sprach von der Ehre und Reinheit beschnittener Frauen, wie sie stolz auf die bei ihr vorgenommene Verstümmelung gewesen sei und bis 1998 nicht gewusst habe, dass es unbeschnittene Frauen gebe – und solche Eingriffe von keiner Religion verlangt würden. Die Aufklärung geschah im Fluchtland Schweiz, doch sie kam zwei Jahre zu spät. 1996 hatte die Mutter (als treibende Kraft) zusammen mit ihrem Mann einen durchreisenden somalischen Beschneider beauftragt, zwei Buben und die damals zweijährige Tochter an ihrem Wohnort im Zürcher Oberland zu beschneiden. Erst elf Jahre später kam die Sache ans Tageslicht, weshalb sich das Paar am Donnerstag wegen Anstiftung zu einer schweren Körperverletzung vor Gericht verantworten musste.

Kein Exempel statuieren

Die Eheleute, die von Anfang an geständig und reuig waren, wurden schuldig gesprochen und mit je zwei Jahren Freiheitsstrafe bedingt sanktioniert, bei einer Probezeit von zwei Jahren. Damit folgte das Gericht den Anträgen von Staatsanwalt Michael Scherrer. Die beiden Verteidiger hatten sich gegen eine Verurteilung nicht gewehrt, jedoch deutlich mildere Strafen gefordert. Sie befürchteten, am Ehepaar werde ein Exempel statuiert und würden aus generalpräventiven Gründen unnötig harte Strafen ausgesprochen.

Beschneidung in den Ferien

Das Obergericht konnte auf keinen vergleichbaren Fall zurückgreifen. Erst vor wenigen Tagen war zwar in Freiburg ein erstes Urteil wegen Genitalverstümmelung gefällt worden. Dabei ging es jedoch um eine in der Schweiz lebende Somalierin, die nicht verhinderte, dass die 13-jährige Halbschwester bei einem Ferienaufenthalt im Herkunftsland beschnitten wurde. Die ältere Schwester wurde wegen Verletzung von Fürsorge- und Erziehungspflichten schuldig gesprochen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Beim Zürcher Prozess ging es nun erstmals um eine Genitalverstümmelung, die in der Schweiz durchgeführt worden war. Das Obergericht betonte, solche Eingriffe stellten eine schwere Verletzung der körperlichen Integrität und der Würde der Frau dar. Dem Mädchen war durch den Wanderbeschneider die Klitoris entfernt worden; medizinisch korrekt, angeblich mit lokaler Betäubung, wenn auch auf dem Küchentisch in der Familienwohnung, für 250 Franken in bar (NZZ 26. 6. 08). Für die Richter, den Staatsanwalt und die zwei Verteidiger stand fest, dass dieser Eingriff den Tatbestand der schweren Körperverletzung erfüllt. Ebenso einhellig wurde von sämtlichen Prozessbeteiligten bejaht, die Eltern hätten sich in einem Rechtsirrtum befunden, der allerdings vermeidbar gewesen wäre.


Die Richter äusserten viel Verständnis für die gut gemeinte Absicht des Ehepaars, angesichts von dessen kulturellem Hintergrund und Wissensstand von 1996, drei Jahre nach der Einreise der Eheleute als Asylsuchende in die Schweiz. Die Eltern wollten ihre «Verantwortung» gegenüber der Tochter wahrnehmen, ihr Schande und Ächtung ersparen; nicht zuletzt deshalb, weil sie mit einer Ausweisung rechneten. Die Eheleute sind Cousins, stammen aus dem gleichen Dorf und flüchteten wegen der Kriegswirren in die Schweiz, wo sie seit fünfzehn Jahren unbescholten leben. Der Mann arbeitet als Hotelportier, die Frau kümmert sich um die zehnköpfige Familie.

Als das Paar damals von der Gelegenheit mit dem durchreisenden somalischen Beschneider hörte, reagierte es schnell, ohne weitere Abklärungen. Heute bereuen beide, sich in der Schweiz nicht rechtzeitig über die hiesigen Gepflogenheiten informiert zu haben. Die Ehefrau, eine gläubige Muslimin, hat in der Frauengruppe der Zürcher Moschee erstmals davon erfahren, dass die Mädchenbeschneidung ein in gewissen Weltregionen praktiziertes Ritual ist, ohne Verankerung im Islam, Christentum oder Judentum. Auch von den vielen Betreuern waren zuvor keine derartigen Informationen gekommen – oder zumindest keine eindeutigen. Als die Eheleute im Rahmen ihres Einbürgerungsgesuchs die Frage nach einer allfälligen Beschneidung der Töchter wahrheitsgemäss beantworteten, ohne Böses zu ahnen, kam das Strafverfahren ins Rollen. Der Beschneider selbst konnte nicht ausfindig gemacht werden.

Auf eine Signalwirkung hoffen

Gerichtspräsident Werner Hotz attestiert den Eheleuten, sie hätten ihren Fehler erkannt und daraus die Lehren gezogen. Die beiden jüngeren Töchter wurden nicht mehr beschnitten. Mit der heute vierzehnjährigen, älteren Tochter hat das Paar den Vorfall besprochen und sich entschuldigt. Das Mädchen leide darunter, ihre Eltern vor Gericht zu wissen, erwähnten die Verteidiger. Und der Gerichtspräsident gab gegen Ende der Verhandlung seiner Hoffnung Ausdruck, das Urteil werde Signalwirkung über das Verfahren hinaus entfalten: «Es geht darum, künftigen potenziellen Opfern viel Leid zu ersparen.»

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Bitte beachten Sie auch unseren Artikel zum Thema Genitalverstümmelung im Islam sowie die kürzlich verabschiedete Resolution des Verbandes Aargauer Muslime (VAM).