In der NZZ vom 1. September 2007 erschien ein interessantes Portrait von Taner Hatipoglu, Vizepräsident und Sprecher der Vereinigung der Islamischen Organisationen Zürich (VIOZ).
Fast jeden Tag ist Taner Hatipoglu in einer für ihn auch persönlich wichtigen Mission unterwegs: An religiösen und interkulturellen Veranstaltungen wirbt er für den Dialog zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Gleichzeitig sucht er bei den offiziellen Instanzen Unterstützung für die praktischen Anliegen der muslimischen Glaubensgemeinschaften. In der Bestattungsfrage ist dies gelungen: Die Stadt Zürich verfügt heute über einen islamischen Friedhof. Weil die Behörden im Hinblick auf die damaligen Verhandlungen von den Muslimen einen einzigen Ansprechpartner gefordert hatten, formierte sich 1994 die Vereinigung der Islamischen Organisationen Zürich (VIOZ). Deren wichtigstes Ziel ist die öffentlichrechtliche Anerkennung, wie Taner Hatipoglu, Mitinitiant und Vizepräsident des demokratisch organisierten Dachverbandes von 15 islamischen Gemeinschaften, sagt.
Muslimische Referenten gesucht
Seit der Ablehnung des kantonalen Anerkennungsgesetzes vor vier Jahren steht das Thema allerdings nicht mehr auf der Agenda der VIOZ; solche Vorstösse sind im momentanen politischen Klima ohnehin chancenlos. Trotzdem äussert sich Hatipoglu immer wieder an öffentlichen Veranstaltungen zu dieser Frage, zuletzt an einer Tagung zur Religionsfreiheit, welche die Interreligiöse Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz (Iras) kürzlich organisiert hat. Nein, er wolle überhaupt nicht im Rampenlicht stehen, winkt der eingebürgerte Schweizer mit türkischen Wurzeln energisch ab. Offenbar sei es aber für die offiziellen Stellen schwierig, muslimische Referenten zu finden. Tatsächlich kenne er viele Muslime, die solche Auftritte scheuten. Deshalb springe er jeweils in die Bresche, so Hatipoglu.
Der 51-jährige Informatiker arbeitet auf einer Grossbank. Auf dem Papier sind es 100 Prozent, «aber faktisch einiges mehr», wie er sagt. Er würde deshalb in seinen anderen Engagements gerne kürzertreten und wäre sofort bereit, auch als Sprecher der VIOZ zurückzutreten. «Doch haben wir ein Ressourcenproblem.» Bis jetzt seien erst wenige Aktivitäten der VIOZ wie die Moscheebesuche für Nicht-Muslime teammässig organisiert.
Der Hauptgrund liegt laut Hatipoglu in der Bildungsferne der ersten Generation der muslimischen Einwanderer. Trotz Sprachkursen sprechen viele Mitglieder und vor allem auch die meisten Imame kaum Deutsch. Mit den hiesigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen sind sie deshalb nicht vertraut.
Hatipoglus Vorsprung ist im Vergleich sehr gross: Dank einem Stipendium ist er bereits als 17-Jähriger in die Schweiz gekommen. An der ETH absolvierte er ein Ingenieurstudium und promovierte in Systemengineering. Vor dem Studium lernte er an einem Goethe-Institut Deutsch. Mit seiner Frau, einer islamischen Theologin, und seinen zwei Kindern lebt er heute in einer Eigentumswohnung in Oetwil a. d. L. Die Beziehungen zu den Schweizer Nachbarn bezeichnet er als hervorragend.
Festhalten an den religiösen Pflichten
Aufgewachsen ist der an der Westküste geborene Hatipoglu im türkisch-kurdischen Kulturraum, in Ostanatolien. Sein Vater war Berufsoffizier, seine Mutter Hausfrau. Kurden und Türken, Christen und Muslime lebten in seiner Strasse friedlich zusammen. Er erinnert sich an freundschaftliche Beziehungen zu einem orthodoxen Pfarrer und an die sich intensivierende Auseinandersetzung seiner Eltern mit dem Koran und der Bibel. In dieser Lebensphase wurzelt Hatipoglus Überzeugung der gleichberechtigten Koexistenz verschiedener Ethnien sowie von Judentum, Christentum und Islam. Vertieft hat er diese Einsicht später im Gefolge des Kurden Said-i Nursi, der Anfang des 20. Jahrhunderts in der Türkei für einen Föderalismus nach dem Beispiel der Eidgenossenschaft eintrat und einen mystischen, auch als pietistisch geltenden Islam begründete. Die stark spirituelle Dimension dieser Tradition fasziniert Hatipoglu. Ausser auf diese direkte Gotteserfahrung legt er aber auch Wert auf die strenge Einhaltung der alltagspraktischen religiösen Pflichten.
Zwischen diesen Lebensregeln und den individualisierten Freiheitsrechten eines säkularen Staates sieht er kein Spannungsverhältnis: «Es sollte auch in einem säkularen Staat jedem Muslim und jeder Muslimin freistehen, die religiösen Pflichten einzuhalten», formuliert er einen Toleranzbegriff, der in den westlichen Gesellschaften auf Kritik stösst, weil er nicht ohne weiteres mit den Integrationszielen verträglich ist. Auch die Kritik an der Diskriminierung der Frauen im Islam weist er entschieden zurück. Im Islam gebe es nur im Erbrecht, in der Benennung der gerichtlichen Zeugen und in der Kleidung Unterschiede zwischen den Geschlechtern, lautet sein Standpunkt. Er kenne niemanden, der seine Frau züchtige, obwohl in manchen Koranversen davon die Rede ist. Der Koran müsse eben immer wieder neu interpretiert werden. Dabei vertraut er auf moderne Auslegungen muslimischer Gelehrter wie Said-i Nursi. Dieser hat zur Verschleierung der Frauen keine klare Aussage gemacht. Trotzdem ist Hatipoglu froh, dass sich seine Tochter mit 13 Jahren entschieden hat, das Kopftuchtragen als religiöse Pflicht einzuhalten. «Sie hat unser Gedankengut übernommen – aber es war ein bewusster Entscheid.»
Den innermuslimischen Dialog fördern
Das Verhältnis zwischen den islamischen, den christlichen und den jüdischen Glaubensgemeinschaften im Kanton Zürich bezeichnet Hatipoglu als ausgezeichnet. Hingegen gebe es ein Basis-Problem. Mit ihren Aktivitäten erreiche die VIOZ nur einen kleinen Teil der Schweizer Bevölkerung. Schliesslich erwähnt Hatipoglu den schwierigen innermuslimischen Dialog, in den mehr Zeit investiert werden müsste. «Wir müssten mehr gebildete Imame haben, die auch abweichende Haltungen akzeptieren.» Die VIOZ bemühe sich, die verschiedenen Auffassungen und Ethnien unter einen Hut zu bringen.
«Unsere Vereine müssen in diese Gesellschaft passen. Unsere Aufgabe ist es, jeglichen Fundamentalismus im Keim zu ersticken.»