Der Zürcher Souverän hat am 30. November 2003 u.a. über drei Vorlagen abgestimmt, welche folgende drei Gesetzesentwürfe enthielten (mit entsprechenden Abstimmungsresultaten):
- Kantonsverfassungsänderung: Neuregelung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat (55% nein)
- Neues Kirchengesetz (54% nein)
- Anerkennungsgesetz: Gesetz über die Anerkennung von Religionsgemeinschaften (64% nein)
Gegen diese Vorlagen wurde von der SVP mit der Unterstützung der FDP eine Kampagne gestartet. In dieser Kampagne wurden die Muslime ins Visier genommen, und mit der Parole «Steuergelder für Koran Schulen? 3 x Nein zu den Kirchenvorlagen» zielte man auf die Ängste der Bevölkerung vor dem «islamistischen Fundamentalismus und Terrorismus». Die Gegner haben in dieser Kampagne eine Methode gewählt, die wir von den Kriegen her kennen: «Desinformation», also Irreführung der Bevölkerung durch falsche Informationen und Aussagen. Mit der oben erwähnten Parole, unterstützt durch grosse finanzielle Mittel wurden die Bemühungen auf dem Wege des religiösen Friedens im Kanton Zürich zu Fall gebracht. Die SVP hat dieses Mal «mit der Kanone auf den Spatz» geschossen. Es gab keine Chance, die Inhalte dieser Vorlagen auf sachlich-fachlicher Ebene zu diskutieren.
Rückblickend möchte ich jedoch hier auf einige Punkte hinweisen, welche uns trotz dieser Niederlage auf dem Wege in eine bessere, gemeinsame Zukunft helfen können.
Im Vorfeld der Abstimmung erlebten wir eine ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen den religiösen Gemeinden, der katholischen und reformierten Landeskirche, den jüdischen Gemeinden und der VIOZ (Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich) einerseits und den politischen Exponenten andererseits. Es gilt nun, diese Beziehungen weiter zu pflegen und zu verbessern und die Bemühungen zum Wohle aller Mitbürger des Kantons zu bündeln und effizienter zu gestalten.
In Zürich wird seit über einem Jahrzehnt interreligiöser Dialog praktiziert, an dem auch die Muslime teilnehmen. Die Erfahrungen in der Ökumene zwischen den katholischen und reformierten Kirchen kamen uns Muslimen zu Gute. Es existierte schon ein runder Tisch, an dem religiös Andersdenkende sassen und an den wir Muslime als «New Comer» zusätzlich eingeladen wurden. Dieser interreligiöse Dialog muss nun auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Tiefen weitergeführt und noch mehr verbreitet werden.
Wir Muslime müssen bereit sein, unseren Beitrag zu diesem Dialog beizusteuern. In diesem Bereich sehe ich grosses Verbesserungspotential. Die islamischen Organisationen sind damit beschäftigt, ja überladen, die Probleme ihrer Mitglieder zu lösen und ihre Gebetsstätten in Betrieb zu halten. Sie messen dem interreligiösen Dialog noch nicht genügend Gewicht bei, was aber für die Zukunft der Muslime in der Schweiz unerlässlich ist. Ich sehe einige heikle Punkte auf diesem Weg.
Wir Muslime können nicht alleine eine Offensive starten, um uns und unser Islamverständnis darzustellen und zu versuchen, dieses zu vermitteln. Diese Aktivität könnte durch manche Kreise missverstanden und als «Missionierung» interpretiert werden. Dies wäre sehr kontraproduktiv. Also müssen wir Wege und Möglichkeiten suchen, um uns der hiesigen Bevölkerung besser darzustellen und zu kommunizieren. Ich denke, erste Hilfe in diesem Bereich können wir jeweils von lokalen Landeskirchen und Gemeindebehörden bekommen. Wir sollten uns jedoch nicht entmutigen lassen, wenn die ersten Anfragen nicht oder negativ beantwortet werden. Es ist es sicherlich Wert, den nächsten Versuch zu wagen.
Durch Diskussions-Veranstaltungen und «Offene Türen» erreichen wir leider nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. Wir könnten versuchen, die «islamische» Kultur in den Vordergrund zu stellen und mittels Musik, Künste und Kulinarisches ein breiteres Publikum zu erreichen. Wenn wir dies weit verbreitet und lokal durchführen, könnten wir mehr Mitmenschen erreichen. Da in den Massenmedien der Islam ständig und negativ präsent ist, müssen wir versuchen, durch unsere Aktivitäten ein Gleichgewicht in der Meinungsbildung zu erreichen.
Ressourcen sind für uns Muslime auch ein Problem. Wir brauchen «dialogfähige» Muslime und Musliminnen, d.h. diese müssen die hiesige Kultur gut kennen, der Sprache mächtig sein und auch den Islam gut kennen. Die «erfahrenen» Dialog-Personen müssen auch um den Nachwuchs in diesem Bereich bemüht sein. Weiter müssen diese auch den Dialog als erste Priorität ihrer sozialen Aufgaben sehen. Da müssen wir schwierige Hausaufgaben erledigen. Weiter müssen für diesen Zweck auch genügende finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden.
Als Leitlinie kommt mir ein schönes Beispiel eines muslimischen Gelehrten in den Sinn: «Ein(e) gute(r) Muslim(in) ähnelt einer Kerze. Sie brennt und schmilzt, gibt jedoch gleichzeitig Wärme und Licht in ihre Umgebung ab.» Wir brauchen viele «muslimische Kerzen», damit wir uns unserer Umgebung erklären können.