Wir sind über das Ergebnis der Abstimmung sehr enttäuscht. Die Enttäuschung ist mit grosser Empörung vermischt. Es wäre zu erwarten gewesen, dass das Schweizer Volk nicht zulassen würde, dass eine Symbolpolitik auf dem Rücken einiger muslimischen Frauen betrieben und ausgetragen wird. Diese Symbolpolitik richtet sich gegen Musliminnen und Muslime. Sie schadet aber auch der gesamten Schweiz, die mit der Annahme der Initiative ihre eigenen Werte untergraben hat. Mit der Annahme der Initiative ist der Frau nicht gedient. Verankerungen von Kleidervorschriften in der Verfassung sind kein Befreiungskampf der Frau, sondern ein Rückzug in die Vergangenheit. Echte Gleichberechtigung und Gleichstellung sehen anders aus. In dieser Hinsicht gibt es noch viel zu tun.
Gesellschaftliche Werte der Schweiz
Die Schweizer Tradition ist geprägt von Werten der Neutralität, Toleranz und Friedensstiftung. Diese Werte haben mit der Debatte rund um das Verhüllungsverbot gelitten. Als Bürgerinnen und Bürger, sowie Mitglieder der Gesamtgesellschaft, müssen wir zur Stärkung einer liberalen und demokratischen Schweiz zurückkehren. Unsere gemeinsame Gesellschaft muss über niedere politische Manöver hinausgehen. Gesellschaftliche Grundwerte dürfen nicht mehr untergraben werden.
Inklusion ohne weitere Ausgrenzung
Nach dem Sonderbundskrieg haben Religionsvielfalt und individuelle Freiheit die Schweiz geprägt. Zu den vielfältigen religiösen Ausprägungen der Schweiz gehört der Islam als Religion, ebenso wie Musliminnen und Muslime als Teil der Bevölkerung schon längst zur Schweiz gehören. Wie jeder Mensch eine vielfältige Identität hat, so sind auch Musliminnen und Muslime Menschen, die hierher gehören. Sie werden dieses Land nicht verlassen. Wir sind ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft und erwarten, als solcher behandelt zu werden. Antimuslimischer Rassismus darf nicht mehr salonfähig gemacht werden und weitere diskriminierende Handlungen sind nicht zu akzeptieren, wie dies auch insbesondere im Rahmen der Abstimmungskampagne zum Verhüllungsverbot der Fall war. Weitere Kleidervorschriften gehören nicht in die Verfassung und damit auch nicht in das Gesetz.
Brücken weiter verstärken
Die stimmungsgeladene Debatte der letzten Monate hat den bestehenden Brücken zwischen der Gesamtgesellschaft und der muslimischen Gemeinschaft geschadet. Deshalb muss der gesellschaftliche Dialog wieder gefördert werden. Konkret umsetzbare Anliegen und Projekte mit den hier lebenden Musliminnen und Muslimen sehen wir als FIDS vonnöten. Ein erfolgreiches Zusammenleben ist nur funktionsfähig, wenn die Mehrheitsgesellschaft die Minderheiten am gesellschaftlichen Leben teilnehmen lässt. Diskussionen müssen auf Augenhöhe geführt werden. Bei offensichtlicher Ungleichbehandlung bestimmter Minderheiten sind diese in Schutz zu nehmen durch die Mehrheitsgesellschaft. Solche Gesten sind heute zu selten. Die mediale und gesellschaftliche Debatte sollte weniger über den Köpfen der hiesigen Musliminnen und Muslime hinweg, und mehr auf gleichberechtigte Art und Weise mit ihnen geführt werden.
An die Musliminnen und Muslime in der Schweiz
Die geführte Debatte sollte niemanden entmutigen. Die wertvolle ehrenamtliche Arbeit, welche die Musliminnen und Muslime seit Jahrzehnten leisten, sollte weitergeführt werden. Wir können nur mit verbündeten Kräften in Richtung einer inklusiven Gesellschaft arbeiten, die alle gleichermassen am gesellschaftlichen Leben teilhaben lässt. Es braucht Mut und viel Energie diesen Weg zu gehen. Wir möchten allen, die dazu beitragen, ein friedvolles Leben in diesem Lande zu gestalten, herzlichst danken.
Unsere Forderung an die Politik
Wir sind ein Teil dieser Gesellschaft und wir erwarten als ein solcher behandelt zu werden. Als Menschen erwarten wir Zukunftsperspektiven und dulden es nicht mehr, in einer solchen Art und Weise zu politischen Zwecken instrumentalisiert zu werden. Wie die EKM in ihrem Positionspapier am 3. März 2021 kommuniziert hat, «braucht es eine uneingeschränkte Akzeptanz des Islam als Religion, die in vielfältigen Ausprägungen längst Teil der schweizerischen Gesellschaft geworden ist und zur Schweiz gehört». Das bestärkt die Idee, eine Prüfung der Anerkennung der Muslime als nationale Minderheit zur Diskussion zu stellen. Hass und Hetze muss hiermit ein Ende nehmen. Wir blicken auf eine inklusive, bunte und gute gemeinsame Zukunft in der Schweiz, worin jede und jeder teilhaben kann.
FIDS, 07.03.2021
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