Am 7. Oktober 2008 erschien in der NZZ ein interessanter Artikel zum grössten muslimischen Bestattungsunternehmen in der Schweiz.
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Ein Geschäft ohne Öffnungszeiten
Er rückt aus, wenn Menschen aus dem Leben scheiden: Ali Furat repatriiert verstorbene Muslime in ihre Heimat, manchmal in die entlegensten Orte. Inzwischen sei er gut in Geografie, sagt Furat, der den Beruf, den er sich nie gewünscht hat, nicht aufgeben könnte.
Es ist neun Uhr abends. Das Handy klingelt im Minutentakt. Eine Frau ruft zum dritten Mal an. Es sei bald so weit, ihr Mann habe nicht mehr lange zu leben. Sie fragt, wie bereits zuvor, was sie tun solle. Warten, bis es so weit sei, sagt Ali Furat, spricht beruhigende Worte und versichert der Frau, sie könne ihn auch nachts erreichen. Dann kommt eine Nachricht aus Schwamendingen: Die Vorbereitungen zu einer Trauerfeier sind gut gelaufen. Das Mobiltelefon vibriert erneut. In solchen Momenten habe er sich früher eine Zigarette angezündet, sagt Furat, das fehle ihm heute. Ein Mitarbeiter kann die Schlüssel zum Leichenwagen nicht finden. Der Chef hilft weiter, während er Dokumente sortiert, er spricht ohne Pause. Der sachliche Ton weicht mürrischem Seufzen; er hat viel geredet heute und nichts getrunken, es ist der Fastenmonat Ramadan. Furat legt auf, lächelt gequält und streicht sich übers Hemd: «Mein Geschäft kennt keine Öffnungszeiten.»
Eine Verabredung, die nicht warten soll
Ali Furat aus Seebach geht, wohin der Tod fällt. Er und seine fünf Mitarbeiter sind in der ganzen Schweiz unterwegs – zu Sterbebetten von Muslimen, die in ihrer Heimat beigesetzt werden wollen. Furat organisiert ihre letzte Reise; einmal führt sie vom Bündnerland in den Irak, ein andermal von Zürich nach Istanbul. In seinem Regensdorfer Büro sitzt der gebürtige Türke vor einer riesigen Weltkarte, die mit bunten Stecknadelköpfen versehen ist. Damit wollte er zu Beginn sein globales Netzwerk markieren, aber es war ihm bald zu mühsam, so viele Stecknadelköpfe auf die Karte zu pinnen, so dass er nach zehn aufhörte. Elf Jahre habe er als Bestatter auf dem Buckel, sagt Furat, mittlerweile sei er recht gut in Geografie.
Der Weg in die ewige Ruhe führt oftmals in die entlegensten Dörfer des Orients; in fast jedem, sagt Furat, habe er seine Partner. Die Ausnahme bildeten Rückführungen in den Irak, wo Angehörige ihre Verstorbenen an der türkischen Grenze abholen müssten. Vor der Überführung ins Ausland wird der Leichnam nach muslimischem Ritual gewaschen und mit Baumwollstoffen bekleidet. Verstorbene mache man zurecht, «sie treffen ja schliesslich auf Gott». Der Tote, sagt Furat, müsse nicht in exakt 24 Stunden beerdigt werden, aber so schnell wie möglich. «Weil man eine Verabredung nicht warten lässt», sagt er.
Ali Furat kann gut reden, am liebsten auf Englisch. Seine Wortwahl ist klar und unmissverständlich. Unsicherheit würde man hinter der souveränen Erscheinung auch nicht vermuten. Dieser Eindruck darf nicht entstehen, wollen doch die Angehörigen ihre Verstorbenen in guten Händen wissen. Darin, sagt der 46-Jährige und schaut etwas besorgt, liege auch die Crux in seinem Beruf: «Das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln und gleichzeitig zu wissen, was sich beim Leichentransport alles ereignen kann – das bringt einen ins Schwitzen.» Furat ist immer erleichtert, wenn ein Sarg seinen Zielort erreicht. Särge, die den Anschlussflug verpassten, im Flughafen plötzlich verloren gingen oder im Zug liegenblieben: Das sei alles schon passiert, aber die Sache habe immer ein gutes Ende genommen.
Mit seiner Gesellschaft «Furat International Repatriation», das grösste muslimische Bestattungsunternehmen der Schweiz, war der zweifache Vater während langer Zeit allein auf weiter Flur gewesen. Dann zog ein Kollege aus Basel nach, «der kümmert sich eher um die Kosovaren». Froh sei er damals um die entlastende Konkurrenz gewesen, aber mehr Freizeit habe sie ihm nicht beschert, der Tod passe sich schliesslich keiner Agenda an. Furat, der einst in London sein Wirtschaftsstudium abgebrochen hatte, um seiner Schweizer Frau nach Zürich zu folgen, hat in den Neunzigerjahren eine kleine Handelsfirma geführt. Dass er dereinst seinen Geschäfts- gegen einen Leichenwagen eintauschen würde, hätte er nie gedacht. «Jetzt bin ich da, wo ich eigentlich gar nicht hinwollte.» Als Furat vor Jahren einem Imam bei der Waschung von Verstorbenen half, fiel ihm auf, dass die Rückführung der Toten in die Heimat viele Familien überforderte. «Dieses Chaos», sagt er, «brachte mich auf die Geschäftsidee.»
«Es ist mehr eine Pflicht als ein Beruf», sagt der Bestatter über seine Aufgabe. So sei es schon oft vorgekommen, dass er Verstorbenen die Heimreise umsonst ermöglichte, nicht nur Muslimen. Er könne es nicht mit ansehen, wenn ein Toter während Wochen im Leichenhaus liege, nur weil die Familie kein Geld habe. Aber für solche Gefälligkeiten wolle er keine Werbung betreiben. Einer, der das Herz am rechten Fleck hat – diesen Eindruck vermittelt Furat. Ihm liegt allerdings nichts daran, sich als Gutmensch zu inszenieren: Er sei nicht sehr tolerant, «und ob ich ein guter Mensch bin, kann ich nicht beurteilen». Dass er mitunter für andere in die Bresche springt, erklärt Furat mit einfachen Worten: «Droht jemand zu ertrinken, holt man ihn aus dem Wasser.»
«Sterbe-Versicherung» für Migranten
Dass eine Familie das Geld für die Repatriierung – nach Afrika kostet sie beispielsweise gut 8000 Franken – nicht aufbringen kann, ist keine Seltenheit. Um diesem Problem entgegenzuwirken, hat Ali Furat vor gut drei Jahren einen Beerdigungs-Fonds mitbegründet, «eine Art Sterbe-Versicherung für Migranten».
Mit 29 Franken pro Jahr kann sich eine ganze Familie am Fonds beteiligen. Stirbt ein Mitglied, wird dessen Heimreise aus dem Fonds finanziert. «Das empfiehlt sich nicht nur für Muslime», sagt Furat. «In der Schweiz leben viele Migranten und Migrantinnen, die dort beerdigt werden wollen, wo sie geboren wurden.» Furat betont denn auch immer wieder, dass seine Dienstleistungen Angehörigen aller Glaubensrichtungen zur Verfügung stünden. So repatriiert der Bestatter mitunter auch verstorbene Juden. Furat glaubt nicht, dass er seine Arbeit als Bestatter niederlegen könnte: «Viele Leute kennen mich mittlerweile. Wen sollen sie anrufen, wenn ich aufhören würde?»
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