In den vergangenen Wochen war Islamic Relief immer wieder ein Thema in den Medien, vor allem wegen der Causa UBS. Nun ist in der NZZ vom 23. November 2012 unter dem Titel «Versteckte Hilfe in Syrien» ein interessanter Artikel des freien Journalisten Albert Kadir über deren eigentliche Arbeit erschienen:
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Verstrickungen mit dem Regime und unsichere Routen für Hilfsgüter behindern ausländische Hilfswerke in Syrien zusehends. Um dennoch die Not zu lindern, arbeiten die Helfer vielfach im Verborgenen.
Die syrische Zivilbevölkerung leidet nicht nur unter den Luftangriffen der Armee, die in den letzten zwei Monaten zugenommen haben, sondern fürchtet auch den nahenden Winter. Kälte und Nässe setzen den Flüchtlingen und Bedürftigen weiter zu, und ihre Lage verschlechtert sich. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen spricht inzwischen von 1,5 Millionen Syrern, die im eigenen Land auf der Flucht sind, und schätzt die Zahl der Hilfsbedürftigen auf 2,5 Millionen. Entsprechend händeringend suchen die Hilfsorganisationen nach Geldern.
Eigenhändiges Verteilen
Die Organisation Islamic Relief Deutschland ist nicht überrascht. Bürgerkriegssituationen lösten bei Spendern gemeinhin Unverständnis und Widerwillen aus, bestätigt Nuri Köseli, der Sprecher der Organisation. Trotz der kritischen Haltung der Spender hofft das weltweit tätige Islamic-Relief-Netzwerk dennoch, bis Jahresende 9,5 Millionen Dollar für Lebensmittel, Decken, Matratzen, Hygiene- und Babyartikel sowie Medikamente zu sammeln.
Fast die gleichen Güter stehen auch auf den Listen der in Syrien tätigen Uno-Agenturen. Im Gegensatz zu diesen verteilt das Islamic-Relief-Netzwerk die Hilfsgüter jedoch nicht über den Syrischen Arabischen Roten Halbmond (Sarc) – die einzige nationale Hilfsgesellschaft -, sondern übergibt sie in der Türkei an syrische Freiwillige. Diese transportieren die Waren nach Idlib, Aleppo oder Hama, und händigen sie selber den Bedürftigen aus. Genau besehen ist diese Vorgehensweise illegal, da Hilfeleistungen in Syrien von der Regierung genehmigt werden müssen. Islamic Relief will jedoch gerade aus diesem Grund die Zusammenarbeit mit dem nationalen Sarc vermeiden.
Der Vorwurf, der Sarc sei unter den Augen der Staatssicherheit vor allem in strategisch wichtigen Regionen tätig und begünstige regimetreue Familien, ist allgegenwärtig. Ebenso klar jedoch ist, dass die Misere ohne das Engagement der Organisation weit grösser wäre. Die Nähe des Präsidenten des Sarc, Abdulrahman Attar, zum Asad-Regime bleibt dennoch ein Ärgernis, das viele auf Distanz gehen lässt – oder in den Untergrund. Dies gilt auch für ein im vergangenen Jahr von Auslandsyrern gegründetes Netzwerk, das sich über Privatspenden finanziert und laut eigenen Angaben mehrere tausend Bedürftige mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt.
Unsichere Zugangswege
Die Hilfslieferungen seien nur möglich dank der Mitarbeit Freiwilliger, die über genaue Ortskenntnisse, zuverlässige Kontakte sowie ausreichend Bestechungsgelder verfügten, um die Strassensperren passieren zu können, präzisiert Taha Rashid. Er leitet das Netzwerk von Beirut aus. Ganz ungefährlich sei dies freilich nicht; kürzlich seien acht seiner engsten Mitarbeiter verhaftet worden. Doch auch die Routen, die nicht länger unter der Kontrolle der syrischen Staatssicherheit stünden, seien nicht frei befahrbar. Bei Aleppo habe eine salafistische Miliz den Helfern unlängst den Zugang zu einer Ortschaft verwehrt. Die Bewohner hätten daraufhin die Miliz derart heftig bestürmt, dass diese die Durchfahrt freigab. Für eine Vertreterin des lokalen Koordinationskomitees von Hama, eines jener Netzwerke von Aktivisten, das seit März 2011 friedliche Proteste organisiert und seit einigen Monaten auch humanitäre Hilfe leistet, sind die islamistischen Milizen nur ein Teil des Übels der Freien Syrischen Armee. Diese habe mit ihren Untaten den Volksaufstand international diskreditiert, ziehe aber weiterhin junge Männer an. Nicht zuletzt, weil es sich mit Waffen leichter plündern lasse, erklärt die Vertreterin. Angesichts der materiellen und finanziellen Not vieler Familien ist dies verständlich, und die Hoffnung, dass weniger Not auch weniger Gewaltbereitschaft verheisst, scheint begründet. In einer solchen Lage sind die ständige Betreuung und der Aufbau von Beziehungen zu den Hilfsbedürftigen schwierig. Da das Regime aber fast täglich neue Stellungen der Rebellen angreift, ist eine kontinuierliche Präsenz beinahe unmöglich.
Kritik an der Uno
Das einzige Mittel, diesen Albtraum zu beenden, sieht die Vertreterin des lokalen Koordinationskomitees in der Errichtung humanitärer Schutzzonen. Mit der Forderung ist die Syrerin nicht allein. So haben Anfang Oktober die in Syrien zugelassenen SOS-Kinderdörfer an die Uno appelliert, sich bei den Konfliktparteien für die Errichtung von Kinderschutzzonen einzusetzen. Auch Nuri Köseli von Islamic Relief verspricht sich von Uno-Schutzzonen nicht nur mehr Anerkennung und Spenden, sondern sieht darin auch eine Möglichkeit, die Arbeit der Hilfsorganisationen zu erleichtern. Leider habe man im Falle Syriens eine solche politische Unterstützung durch die Vereinten Nationen noch nicht erfahren.
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