von Hamit Duran, Turgi AG, im Februar 2006
Teil 1: Grundlagen der islamischen Glaubenslehre
Das Wort «Islam» stammt von der arabischen Wurzel «s-l-m» und kann mit Begriffen wie «Hingabe, Ergebenheit, Unterwerfung» umschrieben werden. Das Wort «Salam», das von derselben Wurzel abgeleitet wird, bedeutet soviel wie «Frieden», daher der islamische Gruss «As-Salamu alaikum» – «Der Friede (Gottes) sei mit dir». Ebenfalls von derselben Wortwurzel stammt der Ausdruck «Muslim/Muslima» was jemanden bezeichnet, der sich dem Willen des einzigen Gottes unterworfen hat und deshalb in Frieden mit sich, der Schöpfung und dem Schöpfer lebt.
Die Grundlage des Islam bildet das sogenannte Glaubensbekenntnis (arab. «Schahada»), das man vor zwei muslimischen Zeugen ablegen muss, um offiziell in die weltweite islamische Glaubensgemeinschaft aufgenommen zu werden. Es lautet: «Es gibt keine Gottheit ausser Allah und Muhammad ist Sein Gesandter.» Im ersten Teil dieses Glaubensbekenntnisses wird die Einheit Gottes (arab. «Tauhîd») bezeugt. Nichts kann auf die Stufe Gottes gestellt werden. Er ist die absolute Realität, die alles Sichtbare und Unsichtbare, Lebendige und Leblose aus dem Nichts erschafft und erhält. Gott lässt sich nicht auf die menschliche Ebene begrenzen, Er steht über allen sinnlichen Wahrnehmungen und rationalen Konzepten. Trotzdem ist Er dem Menschen näher als seine eigene Halsschlagader (vgl. Qur’ân 50:16). Im Bewusstsein dieser Tatsache ist das Leben des Muslims deshalb auf das Erlangen des Wohlgefallen Gottes ausgerichtet.
Im zweiten Teil des Glaubensbekenntnisses wird der Glaube an die Prophetenschaft Muhammads (Friede sei mit ihm) zum Ausdruck gebracht. Die prophetische Sendung ist im Islam aber keinesfalls auf ihn beschränkt. Der Qur’ân lehrt, dass sich Gott seit Anbeginn der Menschheit immer wieder den verschiedenen Völkern offenbart hat. Dazu erwählte er besonders edle Menschen als Überbringer Seiner Offenbarung und Seines Gesetzes. Die Propheten sind jedoch ohne Ausnahme Menschen und keine Übermenschen oder gar Götter. Die Muslime glauben an alle Gesandten Gottes und machen «keinen Unterschied zwischen ihnen» (vgl. Qur’ân 2:285). Muhammad ist der letzte, der ihre Reihe abschliesst und ihre früheren Botschaften bestätigt.
Die Existenz des Menschen endet nicht mit seinem körperlichen Ableben. Der Tod ist ein natürlicher Übergang vom diesseitigen in das jenseitige Dasein. Dieses Jenseits ist das eigentliche Ziel jeglicher Handlung des Muslims. Das Leben auf dieser Erde stellt in diesem Sinne eine Prüfung dar, in der die Weichen für das jenseitige Leben gestellt werden. Am «Tage des Gerichts» wird der Mensch für seine Taten von Gott zur Rechenschaft gezogen werden. Niemandem wird dabei nur das geringste Unrecht geschehen: «Wer Gutes im Gewicht eines Stäubchens getan, wird es sehen; und wer Böses im Gewicht eines Stäubchens getan, der wird es ebenfalls sehen.» (Qur’ân 99:8). Am Ende stehen dann das Leben im Paradies oder in der Hölle. Die Barmherzigkeit Gottes wird dabei den aufrichtig Bereuenden zugute kommen. In diesem Zusammenhang ist noch anzumerken, dass der Islam keine Erbsünde kennt. Jeder Mensch wird unschuldig geboren. Erst wenn er das Stadium der eigenen Urteilskraft erreicht hat, d.h. wenn er fähig ist, gut und böse zu unterscheiden, kann er zur Verantwortung für seine Taten gezogen werden. Dabei haben alle Menschen, ob Mann oder Frau, schwarz oder weiss, arm oder reich denselben Stellenwert vor Gott und dem Gesetz. Das einzige, das sie unterscheidet, ist der Grad ihrer Gottesfurcht und ihre Nähe zum Schöpfer (vgl. Qur’ân 49:13).
Gott hat die Schöpfung nicht hervorgebracht, um irgendeinen Nutzen daraus zu ziehen, sondern Er schenkt Seinen Geschöpfen durch ihr Dasein die Möglichkeit zur eigenen Entwicklung. Der Mensch wird im Qur’ân als «Statthalter Gottes» auf Erden bezeichnet (vgl. Qur’ân 2:30). Ihm wurde die Erde zur Verfügung gestellt, um sie sich zunutze zu machen. Er darf dabei aber nicht vergessen, dass ihm die Erde mit all ihrer Flora und Fauna nur für eine bestimmte Zeit zur Verfügung gestellt wurde und er nicht der eigentliche Besitzer ist. Er ist Träger des göttlichen Vertrauenspfandes und infolge seiner Willensfreiheit gegenüber sich und der gesamten Schöpfung verantwortlich. Aus diesem Grundsatz lässt sich die islamische Umweltethik ableiten: da der Mensch nicht der Besitzer der Schöpfung ist, hat er kein Recht dazu, ihr irgendeinen Schaden zuzufügen. Er ist dafür verantwortlich, dass er sie seinem Schöpfer in dem Zustand «übergibt», in der er sie erhalten hat. Wir Muslime glauben, dass die Lösung der immer grösser werdenden Umweltprobleme nur auf dieser Basis befriedigend gelöst werden können.
Wie einige andere Propheten vor ihm erhielt auch Muhammad eine schriftliche Offenbarung, den Qur’ân. Er wurde ihm im Laufe von 23 Jahren schrittweise offenbart und ist Warnung und «Rechtleitung für die Menschen» (vgl. Qur’ân 2:185). Er bestätigt und vollendet alle früheren Heilsbotschaften. Sein Stil in deutlichem Arabisch ist unerreicht und sein Inhalt wurde bis heute unverfälscht überliefert, denn er wurde einerseits zu Lebzeiten des Propheten niedergeschrieben und andererseits von vielen seiner Gefährten auswendig gelernt. Der Qur’ân ist Gotteslehre, Morallehre und Gesetz in einem. Er wird dabei erläutert und ergänzt durch die «Sunna,» dem vorgelebten Beispiel des Propheten. Wird der Qur’ân unter einem wissenschaftlichen Gesichtspunkt untersucht, so stellt sich heraus, dass er viele Aussagen enthält, die in der damaligen Zeit (vor rund 1400 Jahren) noch vollkommen unbekannt waren und deshalb nicht von einer menschlichen Quelle her stammen können (vgl. z.B. Qur’ân 21:30 über die Entstehung des Universums, Qur’ân 55:33 über die Eroberung des Weltraumes durch den Menschen oder Qur’ân 75:37-38 über die Zeugung und Entwicklung des Menschen in der Gebärmutter).
In der Glaubenspraxis der Muslime ist an erster Stelle das Gebet (arab. «Salah») zu erwähnen, welches fünf mal am Tag allein oder in der Gemeinschaft verrichtet werden muss. Ihm gehen Reinigungen voraus, zu welchen in der Regel Wasser verwendet wird. Die Gebetszeiten werden nach dem Sonnenstand bestimmt, wobei es aber heute praktische Gebetskalender oder Uhren mit eingebautem Computer zur Berechnung der Gebetszeiten für alle Erdteile gibt. Das Gebet selbst besteht aus der Rezitation einzelner Teile des Qur’ân begleitet von Körperhaltungen wie aufrechte Stellung, Verbeugung und Niederwerfung, welche die Hingabe an den Willen Gottes symbolisieren. Der Sinn des Gebets wird vor allem in seiner Schutzfunktion vor üblen Gedanken und Handlungen gesehen (vgl. Qur’ân 29:45). Obwohl die Moschee oder «Masdschid» (d.h. Ort der Niederwerfung) der geeignete Raum für Gebete ist, brauchen sie nicht unbedingt dort verrichtet zu werden, da laut einer prophetischen Überlieferung die ganze Erde als ein Gebetsraum gilt.
An über achtzig Stellen erwähnt der Qur’ân die Armensteuer (arab. «Zakat») zusammen mit der Verpflichtung zum Gebet. Die wohlhabenden Mitglieder der islamischen Gemeinschaft entrichten diese soziale Abgabe an die Bedürftigen, «damit die Reichtümer nicht nur unter denen umlaufen, die schon reich sind» (vgl. Qur’ân 59:7). Die Armen und Bedürftigen haben deshalb ein Anrecht auf diese Zakat, welche einmal jährlich entrichtet werden muss. Natürlich werden dadurch nicht andere, freiwillige Spendenformen ausgeschlossen, sondern sie werden in vielen Stellen des Qur’ân und in den Überlieferungen des Propheten ausdrücklich erwähnt und gefördert.
Wie allgemein bekannt, ist den Muslimen im Monat Ramadan das Fasten (arab. «Saum») vorgeschrieben. Es ist eine Übung zur Selbstbeherrschung, Willenskraft und innerer Einkehr. Vom Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang enthält sich der Fastende des Essens, Trinkens und geschlechtlichen Verkehrs. Dadurch sollen Körper und Geist gereinigt werden. Der Fastende hält sich fern von üblen Worten, Werken und Gedanken und sucht seine Zuflucht bei Gott in meditativer Versenkung, Gebet und Selbstbesinnung. Daneben fördert das Fasten das Zusammengehörigkeitsgefühl der muslimischen Gemeinde.
Einmal im Jahr versammeln sich Millionen von Muslimen aus der ganzen Welt in Mekka und Umgebung zur Pilgerfahrt (arab. «Haddsch»). In verschiedenen rituellen Handlungen folgen sie den Ursprüngen der islamischen Botschaft: das Umschreiten der von Abraham und Ismael errichteten Kaaba in Mekka, das Verweilen im geschichtsträchtigen Tal von Arafat, die sinnbildliche Steinigung des Satans und das abschliessende Opfer verbinden sie in eindrucksvoller Weise mit der abrahamitischen Tradition des reinen Monotheismus. Die Pilgerfahrt gilt als Symbol der muslimischen Einheit. Im Islam bilden Individuum und Gesellschaft, Religion und Politik, Gesetz und Moral eine Einheit. Der Muslim – ob Mann oder Frau – ist gegenüber sich selbst und seiner Gemeinschaft verantwortlich (vgl. Qur’ân 9:71). Es ist ihm daher von Gott auferlegt worden, Gutes zu gebieten und Schlechtes zu verwehren, soweit dies in seiner Macht steht. Dadurch sollen der Glaube und die Gemeinschaft vor schädlichen Einflüssen bewahrt und die Menschen mit den Inhalten der islamischen Lehre vertraut gemacht werden. Der «Dschihad» (d.h. Anstrengung oder Bemühung), der oft fälschlicher Weise mit «Heiliger Krieg» (dieser Begriff existiert im islamischen Sprachgebrauch gar nicht!) wiedergegeben wird, spielt dabei eine zentrale Rolle. Der Muslim muss all seine Möglichkeiten ausschöpfen, um diese Ziele zu erreichen.
Teil 2: Muslimsein in der Schweiz
Wer hätte das gedacht, der Islam hat schon vor mehr als 1000 Jahren in der Schweiz Fuss gefasst! Bereits im Jahre 936 der christlichen Zeitrechnung, also etwa im Jahre 324 nach der Hidschra, der islamischen Zeitrechnung, wird von der Eroberung des Bistums Chur berichtet und zwar durch die Sarazenen. Dabei handelt es sich ursprünglich um einen Volksstamm, der Nordwestarabien und einen Teil der Sinai-Halbinsel bewohnte. Im Mittelalter wurden mit «Sarazenen» allgemein die arabischen Eroberer bezeichnet. Schliesslich verwendete man ihn für alle Muslime, einschliesslich der Türken. Bei den Sarazenen, die die Schweiz besuchten, handelte es sich um berberische Mauren, also um Muslime aus Andalusien, welche der Rasse der Berber aus Nordafrika angehörten. Es wird berichtet, dass die Sarazenen vor allem als Räuber und Plünderer auftraten, welche Reisenden in Hinterhalten auflauerten und sie ausraubten. Beim Überfall auf das Bistum Chur soll der Bischofssitz zerstört worden und ein Teil Graubündens unter sarazenische Herrschaft geraten sein. Auch im Wallis traten die Sarazenen schon früh in Erscheinung. Im Jahre 940 wurde die Abtei von Saint-Maurice im Rhône-Tal geplündert.
Es wird vermutet, dass der Name des Allalinhorns von den Muslimen abstammt und zwar vom arabischen Wort Al-‘Ain, zu deutsch die Quelle. Am Fusse des Allalinhornes befindet sich das Dorf Saas Almagell. Auch hier wird angenommen, dass es von einem arabischen Wort abstammt: Al-Mahall, zu deutsch der Ort oder Aufenthalt. Dieses Dorf ist das am höchsten gelegene Dorf im Saastal und war daher wahrscheinlich ein sarazenisches Zentrum, gewissermassen ein Riegel zwischen Italien und dem Wallis. Ausser den Grenzpässen bevölkern die Muslime auch das Aostatal. In der Nähe von Châtillon gibt es noch heute eine Ortschaft, welche sich «Les Sarrasins» (die Sarazenen) nennt. Oder das Dorf Gaby, abgeleitet aus dem arabischen «Al-Gaby» (die Gebühr, Wegzoll). Gaby befindet sich südlich des Simplonpasses. Die Muslime kontrollierten also den Simplonpass!
Die Ortschaft Pontresina taucht um 1139 zum ersten Male in den Annalen der Geschichte auf, und zwar wiederum im Zusammenhang mit den Sarazenen, die dort Plünderungen vorgenommen haben sollen. Dieser Sachverhalt wird jedoch von einigen Historikern als lächerlich zurückgewiesen, z.B. von Victor Stupan in seinem Buch «Pontresina.» Wie dem auch sei, für uns ist in diesem Zusammenhang wichtig festzuhalten, dass sich offensichtlich Muslime in dieser Region aufgehalten haben.
Im 18. Jahrhundert tritt wiederum die Schweiz im Zusammenhang mit dem Islam in Erscheinung und zwar in der Person des Johann Ludwig Burckhardt, der einem alten, angesehenen Basler Geschlecht entstammt und in den Jahren 1809 bis 1816 unter dem Namen «Shaykh Ibrahîm» im Auftrag der Londoner Afrikanischen Gesellschaft zum Teil ausgedehnte Forschungsreisen in Syrien, Arabien, Ägypten und Nubien unternahm.
Dann ist aber lange «Funkstille» was die Muslime in der Schweiz anbelangt. Erst Ende der 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts kommen die ersten Türken in die Schweiz, und zwar handelt es sich vorwiegend um die damalige Elite, die sich an den hiesigen Hochschulen – zum Teil mit staatlicher Unterstützung – ausbilden liess. Die meisten kehrten nach dem Abschluss des Studiums wieder in die Türkei zurück, wenige blieben hier.
Anfang 60er bis Mitte der 70er Jahre fand dann der grosse Zuzug von vorwiegend türkischen Gastarbeitern statt, die sich dann grösstenteils – nach dem Nachzug ihrer Familien – für längere Zeit in der Schweiz niedergelassen haben. Dies, obwohl die meisten von ihnen ursprünglich planten, nur für zwei, drei Jahre im Ausland zu bleiben. Nun, aus den drei wurden mittlerweile nicht selten dreissig oder vierzig…
Gemäss der Volkszählung von 1990 betrug die Zahl der Muslime in der Schweiz rund 152’000 im Jahre 2000 wurden bereits rund 310’000 Muslime gezählt, was einer Zunahme von rund 100% entspricht (siehe untenstehende Tabelle).
Volkszählung | Muslime total | Veränderung | Schweizer Muslime | Veränderung |
1970 | 16’353 | 456 | ||
1980 | 56’625 | +250% | 2’941 | +550% |
1990 | 152’217 | +170% | 7’735 | +160% |
2000 | 310’807 | +100% | 36’481 | +370% |
Waren es zu Beginn vor allem Türken, welche den Hauptharst der muslimischen Bevölkerung in der Schweiz bildeten, so sind es mittlerweile vor allem Muslime aus Ex-Jugoslawien, wie aus untenstehender Tabelle ersichtlich ist.
Herkunft der Muslime | Anteil |
Ex-Jugoslawien | ca. 50% |
Türkei | ca. 21% |
Schweiz | ca. 12% |
Asien | ca. 8% |
Nord-Afrika | ca. 4% |
Schwarzafrika | ca. 3% |
Naher und Mittlerer Osten | ca. 1% |
Osteuropa | ca. 1% |
Wie verteilen sich die Muslime geographisch gesehen über die Schweiz? In der Deutschschweiz finden sich überwiegend Muslime aus der Türkei und aus Ex-Jugoslawien. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass mit Abstand die meisten Moscheen in dieser Region von Albanern, Bosniern und Türken unterhalten werden. Im Welschland sind es dann eher Araber aus Nordafrika und dem Nahen Osten, während sich im Tessin nur relativ wenige Muslime aufhalten. Darüber hinaus ist anzumerken, dass es auch bei uns Muslimen eine Art «Röschtigraben» zwischen der Deutschschweiz und dem Welschland gibt. Irgendwo durch Bern verläuft auch bei uns eine imaginäre Trennlinie. Dies ist einerseits auf die unterschiedliche Herkunft der Muslime zurückzuführen. Andererseits aber auch auf simple sprachliche Barrieren. Die Muslime Nordafrikas sprechen Französisch und Arabisch. Die Türken in der Deutschschweiz hingegen, können auch nach dreissig Jahren noch kaum Deutsch, geschweige denn Arabisch oder Französisch. Besser ist dies meist bei den Ex-Jugoslawen, die sich eher noch auf Deutsch verständigen können.
Bezüglich den Organisationsformen ist zunächst festzuhalten, dass unter den Muslimen die übliche Begegnungsstätte die Moschee (arab. Masdschid) ist. In der ursprünglichen Form war diese nicht nur Gebetsstätte, sondern auch Schule, Universität, Krankenhaus, in dem oft sogar geistig Behinderte gepflegt wurden, sowie auch Armenküchen. Nun, diese Vielfalt ist in den muslimischen Ländern leider kaum mehr anzutreffen, geschweige denn hier in Europa. In der Schweiz werden schätzungsweise 250 Räumlichkeiten als Moscheen genutzt, davon über 10 alleine in Zürich, «der grösste islamische Staat in der Schweiz» – Zitat Peter Wittwer, ehemaliger Leiter der Zürcher Koordinationsstelle für Ausländerfragen.
Als Rechtsform wird meistens der Verein bevorzugt, da das Vereinsrecht in der Schweiz sehr liberal ist. Es können Vereine gegründet und aufgelöst werden, ohne dass ausser den Beteiligten jemand etwas davon erfährt. Manchmal wird der Verein noch ins Handelsregister eingetragen, dies bildet aber die grosse Ausnahme. Neben dem Verein wird auch noch gelegentlich die Stiftung als rechtliche Form gewählt, während die Genossenschaft, die ja bei Schweizer Selbstversorgungsbetrieben sehr beliebt ist, bei den Muslimen praktisch unbekannt ist. Die Finanzierung wird vorwiegend durch Mitgliedsbeiträge und Spenden gewährleistet. Dies gilt auch für regierungsnahe Vereinigungen. Nur in Ausnahmefällen wurden Moscheen durch Regierungen finanziert (z.B. die Moschee in Genf.)
Neben den Moscheen gibt es auch Sufiorden, sogenannte «Tarîqas», welche auch in der Schweiz aktiv sind. So zum Beispiel der Orden, der von Scheich Nazim Al-Qibrisî geleitet wird und dem Naqschîbandi-Orden, einem der ältesten Sufi-Vereinigungen, angehört, oder die Internationale Mevlana-Stiftung Schweiz, die von einem Schweizer Muslim geleitet wird. Charakteristisch ist für diese Orden, dass sie sich meistens um eine Person, dem Ordensführer oder Scheich konzentrieren, und dass sie aufgrund ihrer Ausrichtung auf die Mystik eine starke Anziehungskraft auf europäische Jugendliche ausüben. Ich möchte aber in meinen Ausführungen nicht weiter auf diese Form von islamischen Vereinigungen eingehen, zumal der Zugang zu ihnen auch für uns Muslime nicht immer ganz einfach ist.
Die verschiedenen Moscheen und Vereine unterscheiden sich in erster Linie durch die Nationalität oder ethnische Zugehörigkeit ihrer Mitglieder. So werden die Predigten in einer türkischen Moschee meistens nur auf Türkisch, in einer bosnischen Moschen meistens nur auf Bosnisch gehalten. Es wird dabei auch oft die traditionelle Kultur des entsprechenden Herkunftslandes gepflegt. Daneben gibt es auch noch Unterscheidungen bezüglich der Glaubensrichtung. Neben den Sunniten, also jenen Muslimen, die sich vor allem auf Qur’ân und Tradition des Propheten Muhammad berufen und ca. 90% der Muslime ausmachen, gibt es noch die Schiiten, die sich von den Muslime nicht in den eigentlichen Glaubensinhalten unterscheiden, sondern in der Frage der Nachfolge Muhammads. Beide Gruppen anerkennen sich grundsätzlich. Eine spezielle Richtung entwickelte sich aus der Schia: die Aleviten. Sie unterscheiden sich wesentlich von Sunniten und Schiiten, da für sie gottesdienstliche Handlungen wie Beten oder Fasten nicht vorgeschrieben sind. Es handelt sich bei ihnen eher um eine Art mystische Gemeinschaft, die ihre Lehre nicht der Öffentlichkeit preisgibt. Ihre Lehre kann darüber hinaus nur durch ihre Lehremeister, die sogenannten «dede’s» weitergegeben werden. Viele der in der Schweiz lebenden Aleviten sind kurdischer Abstammung.
Im Laufe der Zeit haben sich in einigen Kantonen Dachverbände gebildet, die sich Problemen annehmen, welche allen Muslimen in der Schweiz gemeinsam sind. Bereits 1989 wurde die «Gesellschaft der islamischen Organisationen in der Schweiz,» kurz GIOS gegründet. Sie zählte zu Beginn etwa 25 Organisationen unterschiedlichster Richtungen und verfolgte keine politischen Ziele. Ihr Anliegen war, Möglichkeiten für die islamische Erziehung der zweiten und dritten Generation der muslimischen Einwanderer in deutscher Sprache anzubieten. Daneben fungierte sie auch als Anlaufstelle für islamische Organisationen, welche Schwierigkeiten mit den Behörden haben. Im Jahre 2000 wurde erneuert und in die «Koordination Islamischer Organisationen Schweiz – KIOS» überführt. Dazu gesellen sich mittlerweile eine ganze Reihe kantonaler Dachverbände wie die VIOZ in Zürich, der VIOKL in Luzern, der VAM im Aargau, die UAMF in Fribourg, die DIGO in der Ostschweiz etc. etc.
Nun ist es sicherlich interessant zu erfahren, was denn in diesen Moscheen so gemacht wird. Für Muslime ist dies natürlich klar, für Aussenstehende aber nicht so ohne weiteres. Zunächst einmal muss man wissen, dass der Islam sehr grossen Wert auf die Gemeinschaft, die Umma legt. So nimmt das Gebet, das in der Gemeinschaft verrichtet wird, einen vielfach höheren Stellenwert ein als das Gebet, das alleine verrichtet wird. Erste Aufgabe einer Moschee ist es deshalb, für die Muslime die Möglichkeit zu bieten, zusammenzukommen, um die Gebete verrichten zu können. Es gibt auch Gebete, die nur in der Gemeinschaft verrichtet werden können. Dazu gehören Freitags- und Totengebet, sowie die Gebete anlässlich der beiden islamischen Festtage. Ein weiterer wichtiger Aspekt bildet natürlich die religiöse Unterweisung von Kindern und Erwachsenen. Dies geschieht meist in Form von regelmässigem Unterricht, der von einem ausgebildeten Imam geleitet wird. Daneben finden auch immer wieder ausserordentliche Veranstaltungen statt. Sei dies eine islamische Hochzeit, die Geburt eines Kindes, die Beschneidung eines Knaben u.s.w. Solche Ereignisse werden meist zum Anlass genommen, um bekannte Gelehrte einzuladen, welche dann in Vorträgen die Anwesenden an ihre Religion erinnern. Weitere Aktivitäten umfassen auch spezielle Frauenangelegenheiten. So ist es mittlerweile üblich, dass in fast jeder Moschee eine Frauengruppe existiert, die ein eigenes Programm aufstellt und durchführt, seien dies nun die Lehre der Qur’ân-Rezitation, Näh- oder Sprachkurse.
Auch sportliche Aktivitäten werden besonders unter Jugendlichen durchgeführt. Die Palette reicht hier vom klassischen Fussball über Karate und Judo bis zum Boxen. Auch die Frauen betreiben Sport. So treffen sie sich in einigen Städten wöchentlich zum Schwimmen in eigens dafür angemieteten Hallenbädern. Das Programm wird oft abgerundet durch Computerkurse, Spielgruppen für Vorschulkinder und Ferien- und Sportlager für Jugendliche. Die Liste liesse sich noch beliebig fortsetzen, aber es ist natürlich klar, dass nicht jede Moschee alles anbietet.
Was sind nun die Probleme, die sich den Muslimen im privaten und im öffentlichen Leben stellen? Auf die Frage, ob sie als Muslime Probleme in der Schweiz hätten, hörte man von muslimischen Gastarbeitern oft, dass es ja viel einfacher sei, in der Schweiz als Muslim zu leben, als z.B. in der Türkei. Im ersten Moment scheint diese Antwort plausibel, da wir hier in einer demokratischen Bürgergesellschaft leben, in der Glaubens- und Meinungsfreiheit in der Verfassung fest verankert sind. Aber in der Zwischenzeit hat sich die Situation in Europa grundlegend geändert, wie die Kopftuchdebatten in Deutschland und Frankreich und die offene und verdeckte Observation sämtlicher muslimischer Institutionen auch in der Schweiz deutlich zeigen.
Trotzdem soll hier das Augenmerk auf einige andere Aspekte gelegt werden. Zunächst einmal ist da die ganz andere Lebensphilosophie, die total anderen Wertvorstellungen. Zwar ist die Schweiz ein christliches Land, davon spürt man im Alltag aber reichlich wenig. Typische christliche Werte wie Hingabe zu Gott, Nächstenliebe u.s.w. treten immer mehr in der Hintergrund und machen den «modernen» Werten wie Kapitalismus, Egoismus und Säkularismus Platz. Wir Muslime leben also mitten in einer Welt, die dem materiellen Wohlergehen höchste Priorität einräumt, während für uns das geistige Wohlergehen Vorrang hat. Wir sehen, dass die Familie zunehmend vom immer stärker um sich greifenden Egoismus in den Hintergrund gedrängt wird, während für uns Muslime Familie und Verwandtschaft zentrale Elemente in unserem Leben sind. Gerade diesen Punkt hat Herr Rohrbach, seinerseits Leiter des Bereichs Mittlerer Osten bei der SKA anlässlich eines Referates an der Paulus-Akademie treffend formuliert. Er sagte, dass ein Muslim im Orient nur soviel Zeit für die Arbeit aufwendet, wie er zum Leben braucht und den Rest seiner Zeit in die Familie und die Verwandtschaft «investiert,» denn der Muslim glaubt nicht, dass er alleine durch materielle Absicherung seine Zukunft gestalten kann. Vielmehr glaubt der Muslim, dass es viel wichtiger ist, gute Beziehungen zu den Verwandten und Mitmenschen zu haben, die dann in der Not beistehen werden. Herr Rohrbach kam dabei zum Schluss, dass es dem westlichen Menschen doch gut täte, manchmal etwas weniger zu arbeiten und dafür etwas mehr Zeit für die Familie aufzuwenden. Umgekehrt meinte er dann aber auch, dass es den Muslimen gut anstehen würde, etwas mehr als unbedingt nötig zu arbeiten und dadurch ihren Familien eine kleine Freude zu machen. Dem ist natürlich zuzustimmen.
Natürlich hat jeder Muslim, unabhängig von seiner ethnischen Zugehörigkeit, irgendwelche Probleme im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz, der Schule u.s.w. Seien dies nun die täglichen Gebete, die besonders im Winter in die Arbeitszeit fallen, das Fasten während des Ramadans oder auch das Tragen des Kopftuches, welches immer wieder zu Anpöbelungen junger Muslimas führt. Ein Teil dieser Probleme könnte sicher gelöst werden, wenn der Islam als Religion endlich offiziell anerkannt würde. Es liessen sich dann wahrscheinlich einfacher Lösungen für die islamische Erziehung der Kinder, die Beschaffung von Halal-Fleisch, die Bestattung der Muslime in eigenen Friedhöfen und dergleichen finden.
Schliesslich möchte ich in diesem Zusammenhang auf ein weiteres, in meinen Augen zentrales Problem hinweisen, und zwar die Unwissenheit der Muslime bezüglich ihrer eigenen Religion. Man muss sich darüber im klaren sein, dass die meisten muslimischen Gastarbeiter, besonders jene aus der Türkei, ohne eine fundierte religiöse Erziehung in den Westen kamen und sich erst hier, nach dem vielzitierten Kulturschock, auf ihren Glauben zurückbesonnen haben. Natürlich nicht alle, aber doch ein beachtlicher Anteil erinnerte sich an seine eigene Kultur und versucht diese wiederzubeleben. Da die meisten kein fundiertes Wissen besitzen, hat dies dazu geführt, dass viele nicht zwischen religiöser Pflicht und kulturell bedingter Tradition unterscheiden können. Viele Dinge, die sie als islamisch betrachten, entstammen in Tat und Wahrheit nur der Tradition ihres Herkunftslandes und haben deshalb in anderen islamischen Kulturen gar keine Bedeutung. Dazu gehören z.B. die Stellung der Frau, das Verheiraten von jungen Mädchen ohne deren Einverständnis, die Toleranz gegenüber den Knaben und die Strenge gegenüber den Mädchen und so weiter und so fort.
Der Islam ist mittlerweile ein fester Bestandteil der hiesigen Kultur geworden. Sowohl Schweizer Bürger als auch Behörden müssen sich mit den Muslimen hierzulande auseinandersetzen, ob sie es wollen oder nicht. Dabei ist viel Feingefühl und Offenheit auf beiden Seiten gefragt. Rechthaberisches und besserwissendes Auftreten ist ebenso fehl am Platze wie das Herumhacken auf vorfabrizierten Klischees und Vorurteilen. Beide Seiten müssen eben die Andersartigkeit des anderen akzeptieren, auch wenn sie dies nicht immer verstehen oder gar begreifen können. Denn um Muslime wirklich begreifen zu können, muss man eben selbst in seinem Herzen Muslim sein. Ich glaube, ebenso verhält es sich mit dem Christentum. In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals Herrn Wittwer zitieren. Er sagte seinerzeit, dass sich die Stadt Zürich für die Integration und nicht für die Assimilation der Muslime entschieden hat. Ich meine, ein Entscheid, der in die richtige Richtung geht.
Auch der Schritt der offiziellen Anerkennung des Islam wird je länger je unausweichlicher. Wie ich bereits erwähnt habe, würde dies helfen, Lösungen für dringende Probleme zu finden. Darüber hinaus würde dies auch den Umgang der Behörden mit Muslimen vereinfachen.
Schliesslich bin ich überzeugt, dass es unabdingbar ist, der Öffentlichkeit ein unverzerrtes Bild des Islam und der Muslime zu vermitteln. Dies einerseits von Seiten der Muslime durch öffentliche Veranstaltungen und intensivere persönliche Kontakt. Andererseits sind auch Behörden und vor allem die Medien gefordert. Dazu muss man natürlich eine gewisse Schwellenangst überwinden. Ich bin aber überzeugt, dass dies eine Bereicherung für beide Seiten darstellen wird.
Quellennachweis
- Mohammad Hamidullah, Der Islam – Geschichte, Religion, Kultur, Verlag Islamisches Zentrum Aachen, Aachen 1995
- Ch. P. Baumann, Ch. J. Jäggi, Muslime unter uns – Islam in der Schweiz, Rex-Verlag, Luzern/Stuttgart 1991
- Claude-Alain Humbert, Religionsführer Zürich – 370 Kirchen, religiös-spirituelle Gruppierungen, Zentren und weltaunschauliche Bewegungen der Stadt Zürich, Orell Füssli Verlag, Zürich 2004
- Jean-Pierre Sandoz, Die Sarazenen durchqueren die Alpen, Th. Gut & Co. Verlag, Stäfa 1993
- Karl Dürr, Völkerrätsel der Schweizer Alpen – Walser · Wikinger · Sarazenen, Arethusa-Verlag, Bern 1953
- Victor Stupan, Pontresina, Paul Haupt-Verlag, Bern 1979