von Michael Maag, 8. Mai 1999
Können Sie sich das vorstellen? Nein? Dann drehen wir erstmal das Zeitrad um einige hundert Jahre zurück. Wir befinden uns im frühen Mittelalter, richten unseren Blick auf Spanien. Nach der Überquerung der Meerenge von „Gibraltar” um 711 (Felsmassiv benannt nach dem Feldherrn „Dschebel al-Tarik”) etabliert sich der Islam in Spanien. Ab etwa 730 befinden sich die Muslime bereits in Südfrankreich. Die Muslime rücken im 9. Und 10. Jahrhundert durch nordafrikanische Seefahrer weiter gegen Norden vor. Zwischenstationen sind Sardinien, dann Korsika, welches zwischen 827 und 850 erobert wird.
Die Muslime, die man auch Sarazenen zu nennen beginnt, gehen mitunter auch dazu über, in der Camargue und entlang der Côte Varoise feste Häfen zu bauen. Unter dem Druck der Muslime entstehen in Genua und Pisa See- und Handelsmächte, welche alsbald gegen die Muslime auf Sizilien, Sardinien, den Balearen und den spanischen Küsten vorgehen. Es wird darüber berichtet, dass der Papst um etwa 850 die Schwyzer und Friesen um Hilfe gegen das Vordringen der Sarazenen aufruft.
Ein Ort, an dem andalusische Sarazenen landen und sich auch festsetzen heisst heute „Garde Freinet”, von den Sarazenen wird er „Farakhshinît” genannt (liegt im Grossraum St. Tropez). Von dort aus planen und realisieren sie Abstecher auf die Alpen und ihre Ausläufer.
Ab dem 10. Jahrhundert benützen die Muslime für ihren weiteren Vorstoss die Flussläufe und Alpentäler. Dadurch gelangen sie unter anderem ins Piemont und von da aus mit der Überquerung unserer Alpenpässe ins Wallis, in die Waadt, nach Graubünden, nach Chur und St. Gallen. Die Muslime lassen sich an verschiedenen Orten in der Schweiz nieder. Es deutet vieles darauf hin, dass durch die Sesshaftigkeit der Muslime auch gewisse Ortschaften und Berge arabische Namen erhalten. Das Allalinhorn beispielsweise, mitten in einem Gletschermassiv der Walliser Alpen, führt seine Namensgebung zurück auf das arabische „Ala’i-ain”, was nichts anderes bedeutet als die Quelle. Unterhalb des Allalinhorns liegt das wohl bekannte
Dorf Saas Almagell. Auch das ist arabisch, „Al-Mahall” heisst Ort oder Aufenthalt. Man kann davon ausgehen, dass das höchste im Tal gelegene Dorf ein muslimisches Zentrum zwischen Italien und dem Wallis darstellt. Ausser den Grenzpässen bevölkern die Muslime auch das Aostatal. In der Nähe von Châtillon gibt es noch heute eine Ortschaft, welche sich „Les Sarrasins” (die Sarazenen) nennt. Oder das Dorf Gaby, abgeleitet aus dem arabischen „Al-Gaby” (die Gebühr, Wegzoll). Gaby befindet sich südlich des Simplonpasses. Die Muslime kontrollieren den Simplonpass
…und nehmen weiteren Einfluss auf die Schweiz
Und heute?
Einige Jahrhunderte sind vergangen, seit die Muslime ein Weltreich, grösser als das römische, erobert haben und in Sizilien und Spanien, in Frankreich und wie oben beschrieben sogar in Teilen der Schweiz, den europäischen Kontinent betraten, wo sie (zum Beispiel in Spanien) acht Jahrhunderte – von 711 bis 1492 – mit Christen und Juden friedlich zusammenlebten. Bis heute ist jedoch ihre Religion, ihre Gottesverehrung, die heiligen Schriften oder kultischen Pflichten ausserhalb jegliches Interesses geblieben. Vorurteile gegenüber dem Islam sind immer noch fester Bestandteil der sogenannt „zivilisierten”, „aufgeklärten” Welt.