Gemäss Recherchen des Tages-Anzeigers stellte sich heraus, dass Christine Dietrich, Pfarrerin in der Berner Gemeinde Siselen, eine Schlüsselrolle im islamophoben Netzwerk «Politically Incorrect» (PI) hatte. Nicht nur, dass sie selbst islamfeindliche Blogs verfasste, sogar die Rechnungen für den PI-Webserver lauten auf die Adresse des Pfarrhauses, in dem Christine Dietrich wohnt.
Lesen Sie nachfolgend den vollständigen TA-Artikel, der am 17. September 2011 erschienen ist und hier auch online abgerufen werden kann.
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«Tapfere Christine»: Doppelleben einer Schweizer Pfarrerin
Eine Berner Theologin verwaltete die führende deutschsprachige muslimfeindliche Website Politically Incorrect. Und sie schrieb fleissig Blogeinträge.
Von «Talibanfurzern» und «Arschhochbetern» ist die Rede. Vom «musulmanischen Mob» und von den linken «Kulturbereicherern», die Europa bedrohen. Auf Politically Incorrect (PI), dem populärsten Sammelbecken deutschsprachiger Islamkritiker und -feinde, geht es – gelinde gesagt – unzimperlich zu und her. Paranoia und Hasstiraden, gepaart mit Pseudowissenschaftlichem und vermeintlichen Enthüllungen generieren Klicks. Die Website rühmt sich, täglich 60’000 Besucher zu haben. Noch mehr waren es nach dem Massenmord in Norwegen Ende Juni. PI machte Negativschlagzeilen, weil die Worte dort jenen des Attentäters Anders Behring Breivik stark ähnelten. «Was er schreibt, sind grossenteils Dinge, die auch in diesem Forum stehen könnten», stellte ein anonymer PI-Autor fest.
Nun stellt sich heraus, wer diese Zeilen und viele andere Beiträge verfasst hat. Es war jemand, der sonntags Nächstenliebe predigt: Christine Dietrich, eine Mittdreissigerin, Pfarrerin in der Berner Gemeinde Siselen. Vom TA konfrontiert, bestätigt sie die Autorenschaft.
«Die tapfere Christine»
Die «Frankfurter Rundschau» und die «Berliner Zeitung», welche diese Woche die klandestin operierenden Hintermänner und -frauen des Blogs blossstellten, bezeichnen Dietrich als «Co-Chefin» von PI. Aus Unterlagen, die dem «Tages-Anzeiger» vorliegen, geht hervor, dass die Pfarrerin tatsächlich eine Schlüsselrolle im islamophoben Netzwerk innehat. Gemäss den internen Dokumenten besass «die tapfere Christine» zeitweise als Einzige die Möglichkeit, Beiträge auf der Website aufzuschalten.
Die Rechnungen für den PI-Webserver lauten auf eine Adresse im Kanton Bern: auf das Pfarrhaus, in dem Christine Dietrich wohnt. Adressat ist allerdings keiner der offiziellen Bewohner, also weder Dietrich noch ihr Ehemann, sondern ein gewisser Timothy Ruchti. Dietrich beteuerte gestern, der Name sei kein Pseudonym. Ruchti sei US-Amerikaner und lebe vermutlich in der Nähe von Chicago. Trotz des bernisch anmutenden Nachnamens.
Dietrich sagt weiter, sie habe lediglich im Jahr 2008 rund sieben Monate lang die Rechnungen für die PI-Website bezahlt – für den arbeitslosen PI-Chef. Der Kopf von Politically Incorrect, der einstige Kölner Sportlehrer Stefan Herre, gehörte zu den Veranstaltern des jüngsten Auftritts des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders und des SVP-Nationalrats Oskar Freysinger in Berlin. Herre regte an, bei der Veranstaltung mit Freysinger Anfang Monat eine Schweigeminute für die Attentatsopfer in Norwegen einzulegen. Mitstreiter rieten ihm energisch davon ab – und ebenso von jedem Bezug zu Amokläufer Breivik.
Eine Distanzierung unter Druck
Zwischen Christine Dietrich und Stefan Herre gab es bis zuletzt Diskussionen, wer die neusten Rechnungen für die PI-Website begleicht. Der Pfarrerin scheint nun alles zu viel geworden zu sein. «Ich distanziere mich hiermit offiziell von Politically Incorrect», sagte sie gestern dem TA. «Dies habe ich dem Betreiber mitgeteilt.» Ihre Beiträge unter dem Pseudonym Jeanne d’Arc hat sie gelöscht. Ebenso die Facebook-Einträge unter dem Herr-der-Ringe-Decknamen Thorin Eichenschild.
Wie viel die Distanzierung wert ist, muss sich zeigen. Bereits 2007 war die Theologin wegen ihrer Blog-Einträge in die Schlagzeilen geraten. 2009 hatte sie in Köln einem Anti-Islamisierungskongress den Segen gegeben. Die evangelische Kirche Kölns sprach von einer «rechtsradikalen Hetzveranstaltung».
Thomas Wipf, damals Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, zeigte sich gegenüber der «SonntagsZeitung» befremdet: «Wenn eine Pfarrerin eine Versammlung segnet, deren Ziel die Ausgrenzung und die pauschale Anklage von Menschen einer anderen Religion ist, ist das nicht vereinbar mit dem Geist des Evangeliums.» Und was sagt der Kirchenbund heute mit neuem Präsidium? Nichts. Sprecher Simon Weber gibt zwar zu verstehen, er habe eigene Recherchen angestellt, aber zitieren lässt er sich nur mit den Worten: «No comment.»
«Noch nie eine Hasspredigt gehalten»
Matthias Zeindler von den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn sagt: «Wir stellen uns gegen Islamophobie und gegen jede Entwürdigung anderer Religionen. Unser Verhältnis zu nicht christlichen Religionen ist geprägt von Respekt und Dialogbereitschaft.» Für Pfarrerinnen und Pfarrer gelte «selbstverständlich» die Meinungsäusserungsfreiheit. Untersagt seien aber «Nebentätigkeiten, die in Widerspruch zum kirchlichen Auftrag stehen».
Pfarrerin Dietrich habe aber «glaubwürdig zugesagt, dass sie bei PI nicht mehr in der Form wie früher aktiv ist». Herbert Roth, Kirchgemeindevorsteher in Siselen-Finsterhennen, spricht von einer «Hetzkampagne gegen eine sehr beliebte Pfarrerin»: «Bei uns hat sie noch nie eine Hasspredigt gehalten.»
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Zum Glück wissen Musliminnen und Muslime, die sich im interreligiösen Dialog engagieren, dass nicht alle Pfarrerinnen und Pfarrer gleich sind.