— von Hamit Duran, Turgi —
«Qawwâmun ‘alâ» und «wa adribûhunne», diese zwei Ausdrücke welche im 34. Vers der Sura An-Nisa vorkommen sorgen für viel Wirbel unter Muslimen und Nichtmuslimen. Angeblich sollen sie den Vorrang der Männer vor den Frauen belegen und ihnen die Erlaubnis zur körperlichen Züchtigung ihrer Ehefrauen geben. In der Neuzeit, in der das Geschlechterverhältnis und Gewalt in der Ehe nicht nur im Islam dauernd thematisiert wird, beinhaltet diese klassische Interpretation natürlich enormen Zündstoff. Das vom Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung (ZIF) herausgegebene Buch versucht, durch eine hermeneutische Betrachtungsweise und die kritische Hinterfragung gängiger Übersetzungen und Auslegungen ein neues Licht darauf zu werfen. Dieser Versuch kann durchaus als geglückt betrachtet werden. Jedenfalls gibt das Buch genügend Hinweise, dass das gängige Verständnis nicht das einzig Richtige sein muss.
Zunächst einmal zum Stein des Anstosses, Vers 34 der Sura An-Nisa (die Frauen), in dem sinngemäss in der Übersetzung des Herausgebers steht:
«Die Männer stehen ein für Frauen, wegen dem womit Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat, und weil sie (als die wirtschaftlich Unabhängigen) von ihrem Vermögen (Unterhalt und Versorgung) ausgeben. Darum sind loyale Frauen (Allah gegenüber) ergeben. (Sie sind) diejenigen, welche die Geheimnisse (der Ehe, was nicht öffentlich gemacht wird und Aussenstehenden verborgen bleiben soll) gemäss Allahs Weisung bewahren. Und wenn ihr annehmt, dass Frauen (einen Vertrauensbruch begehen), besprecht euch mit ihnen und (falls keine Veränderung eintritt) zieht euch (zunächst) aus dem Privatbereich zurück (meidet Intimitäten) und (als letztes) trennt euch von ihnen. Wenn sie zur loyalen Haltung zurückkehren, so sucht gegen sie keine Handhabe (um ihnen zu schaden). Wahrlich, Allah ist erhaben, grösser (als alles Vorstellbare).»
Das Buch beginnt mit einer allgemeinen Einführung in die Wissenschaft der qur’ânischen Textanalyse. Neben der Kontextabhängigkeit (Zeitfaktor) werden dabei auch die Beziehungen zwischen den Texten und Gründe für die Herabsendung von Qur’ânversen behandelt. Gerade letzterer Aspekt ist sehr wichtig, da er die gelebte Realität der Ersthörenden aufgreift und den Vers in einen historischen Kontext stellt.
Basierend auf diesen Grundlagen wird dann der Vers 34 eingehend analysiert, wobei zunächst der Ausdruck «qawwâmun ‘alâ» im Mittelpunkt steht. Es ist dabei äusserst interessant zu sehen, wie verschiedene Kommentatoren und Übersetzer mit diesem Wort umgehen. Die Palette reicht dabei von «die Ehemänner tragen Verantwortung den Ehefrauen gegenüber» über «die Männer sollen gegenüber den Frauen den Vorzug haben» bis hin zu «die Männer sind den Frauen überlegen». Allein daran lässt sich die Komplexität des Textes bereits erahnen.
Nicht weniger mehrdeutig ist die Übersetzung des Ausdrucks «wa adribûhunne», für welchen Übersetzungen existieren, die von «gebt ihnen einen leichten Klaps» über «schlagt sie» bis hin zu «peitscht sie» reichen.
Bei der Analyse der Übersetzungen wird auf den patriarchalen Blick hingewiesen, der die Absicht des Übersetzers offen legt und meist den Gesamttextkorpus (so der Herausgeber) des Qur’ân nicht im Auge behält. Besonders deutlich wird dies beim Wort «daraba», das an vielen anderen Stellen im Qur’ân vorkommt und mit «prägen» (Qur’ân, 16:74 und 16:76), «umherziehen» (Qur’ân, 4:101), «abwenden» (Qur’ân, 43:5) etc. übersetzt und sonst nirgends mit dem Begriff der körperlichen Züchtigung in Verbindung gebracht wird.
Im Verlaufe der Ausführungen werden eine Reihe interessanter Fragen aufgeworfen, die sich daraus ergeben, dass ja der Qur’ân Prinzipien der Menschenwürde aufgestellt hat, die er wohl kaum selbst verletzt. Die AutorInnen kommen zum Schluss, dass das Schlagen nicht mit dem Ehekonzept des Qur’ân in Einklang gebracht werden kann, wie anhand einer eingehenden Erläuterung der qur’ânischen Ehemediation dargelegt wird (siehe z.B. Qur’ân, 4:35). Da erübrigt sich schon fast der Hinweis, dass der Prophet Muhammad (a.s.) nie eine seiner Frauen geschlagen hat.
Den Abschluss des Büchleins bildet ein Exkurs zum Thema Geschlechterverhältnis im Islam mit einem Blick auf das Selbstbild von MuslimInnen und NichtmuslimInnen. Es handelt sich dabei um einen Aufruf an alle muslimischen Frauen, ihren Platz als verantwortliches Mitglied der Gesellschaft zu erkämpfen und zu erhalten. Die Autorin betont dabei, dass jeder Teil eines (Ehe-)Paares, trotz inniger Verbundenheit mit dem anderen, eine eigenständige Persönlichkeit besitzt. Es gibt keine Zwangskomplementparität, wodurch der eine durch den anderen erst zielgerichtet handeln könnte. Ansonsten wäre ja die Weisung des Qur’ân, dass die Gefährten des Gesandten Muhammad (a.s.) seine Witwen nicht heiraten durften, kaum verständlich. Die AutorInnen stellen die Frage, ob ausgerechnet die Mütter der Gläubigen von der Fülle der Möglichkeiten sich zu verwirklichen ausgeschlossen bleiben? Wahrlich, eine interessanter Aspekt…
Am Ende steht die Leserin oder der Leser dann da mit einer Reihe von Fragen, über die nachzudenken es sich lohnt. Und das ist genau das, was die Autorin in der Einführung ankündigt; dass neben der Untersuchung von bereits aufgestellten Theorien mehr Fragen als endgültige Antworten zu finden sind. Alles in allem kann gesagt werden, dass das vorliegende Werk eine Bereicherung zum Thema des Geschlechterverhältnisses im Islam darstellt und einige sehr interessante Aspekte, die sich aus einer gesamtheimlichen Betrachtung des Qur’ântextes und des Lebens des Propheten Muhammad (a.s.) ergeben beleuchtet und mit kritischen Fragen zum Nach- und Überdenken anregt.
ZIF – Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung (Hrsg.), Blick auf das Geschlechterverhältnis im Islam, 98 S., Paperback, € 8.95, zu bestellen bei www.zif-koeln.de, ISBN 3-9810487-0-9